Hier im Gartenbaukino, Wiens größtem und schönstem Kino, werde ich meine nächsten zwei Tage verbringen. Keine schlechte Aussicht. Und es hat sich auch diesmal gelohnt. Weil für die vielen Speaker der Platz zu knapp ist, hier meine zwei persönlichen Festival Highlights.
Vor fünf Jahren habe ich ihn auf dieser Bühne zum ersten Mal gesehen und sofort in mein Herz geschlossen. Das geht jedem so, der Stefan Sagmeister live erlebt. Die Arbeiten des Grafikdesigners und sein Voralberger Sound, den man nach Jahrzehnten in New York noch immer raushört, sind einfach ansteckend.
Sagmeister spricht an diesem Abend über 40 Jahre Design. Seine 40 Jahre von den ersten Arbeiten als Schüler für das Jugendmagazin Alphorn, über mehrfach prämierte CD-Covers, bis zum Happy Film. Man könnte damit ein ganzes Buch füllen. Ich möchte hier nur eine Episode aus dem Jahr 1993 bringen. Sie sagt vielleicht nicht alles, aber doch eine Menge über ihn.
Nach einem Kunststudium an der Wiener Angewandten, zwei Jahre Leo Burnett Hongkong und M&Co. des ungarischen Stardesigners Tibor Kalman ist die Zeit gekommen, ein eigenes Studio zu gründen. Für die Ankündigung plant er, eine Postkarte zu versenden. Darauf abgebildet: er selbst wie Gott ihn schuf.
Sein exhibitionistischer Drang blitzt in seinen Werken auch später immer wieder mal durch. Die US-Post lehnt den Versand allerdings ab. Die Postkarte in ein Kuvert stecken wäre eine Möglichkeit, kommt aber nicht in Frage. Schließlich liegt der Sinn einer Postkarte ja darin, ohne Kuvert auszukommen. Also legt er einen schwarzen Balken über sein Gemächt und verschickt die Karten an unzählige potenzielle und seinen, zumindest bis dahin, einzigen Kunden.
„I was super nervous“, erinnert er sich zurück, „at that time I only had one client“. Seine damalige Freundin kommentiert die Aktion mit den Worten: „Du wirst jetzt deinen einzigen Kunden, den du hast, auch noch verlieren!“ Ermutigend klingt das nicht gerade. Wochen später ist er genau bei diesem Kunden zu Besuch. Er betritt das Chefbüro, nicht ein Bild ziert die Wände, mit Ausnahme dieser einen verschickten Postkarte. Sie hängt hinter der Schreibtischwand des CEOs, daneben ein Post-it, auf dem stehen folgende Worte: „The only risk is to take not any risk.“
Daran sollten auch wir uns (und unsere Kunden) immer wieder erinnern: Das einzige Risiko ist, kein Risiko einzugehen.
Die junge, charismatische Illustratorin und Grafikdesignerin ist in Istanbul geboren und lebt seit ein paar Jahren in Berlin. Nur wenige Wochen nach ihrem Auftritt kündigt sie ihren Job als Design Executive Officer bei Ogilvy. Sie ist jetzt ihre eigene Designchefin und konzentriert sich ganz auf ihre Kunst. „100% as an artist. A really tough decision.“
Zurzeit arbeitet sie an mehreren Ausstellungen. Ihre Arbeiten sind inspiriert von Psychologie und Alltagserfahrungen. Kunst ist für sie auch eine Form der Selbsttherapie. Dabei nutzt sie alle möglichen Medien: Analog & Digital Drawing, Video, Taschen, Kleidung und andere Objekte. Esra Gülmen hinterlässt überall ihre unverkennbare Handschrift. Wer einmal Gelegenheit hat, sich eine Ausstellung von ihr anzusehen, unbedingt nutzen.
Das nächste Forward Festival steigt wieder im Herbst. Ich lass mich überraschen und sag schon mal:
Vorwärts 2022.
Mitdenken – ist nicht nur Teil unserer Materie in Sachen Werbung, sondern auch in Bezug auf den Lesefluss. Wir verzichten in unseren Beiträgen auf die differenzierte Ansprache der Geschlechter, damit die Texte besser lesbar sind. Wir möchten trotzdem festhalten, dass wir alle gleichermaßen ansprechen wollen und dies ohne Diskriminierungsabsicht geschieht.